Das Reflexions- und das Brechungsgesetz beschreiben zwar die Fortpflanzungsrichtung des reflektierten und des gebrochenen Strahls, sie geben aber keine Auskunft darüber, warum das Licht an der Körperoberfläche gerade so reflektiert und gebrochen wird. Um die Wechselwirkung zwischen Materie und Licht besser verstehen zu können, müssen wir wissen, was Licht ist.
Isaac Newton entwickelte im Zuge seiner Recherchen zu optischen Phänomenen um 1672 eine Theorie über die Natur des Lichts. Danach sendet eine Lichtquelle eine große Menge winziger Lichtteilchen aus, die mit konstanter Geschwindigkeit geradlinig durch den Raum fliegen und beim Auftreffen auf die Netzhaut des Auges eine Helligkeitsempfindung hervorrufen. Fällt ein Strahl dieser Lichtteilchen auf die glatte Oberfläche eines durchsichtigen Körpers, so werden diese teils reflektiert, teils dringen sie in den Körper ein und pflanzen sich im Inneren des Körpers weiter fort.
Newton nahm nun an, dass die reflektierten Teilchen an der Oberfläche einen elastischen Stoß erleiden. Es lässt sich dann die Bahn eines schräg auftreffenden Teilchens leicht angeben. Wir denken uns den Geschwindigkeitsvektor v des einfallenden Teilchens in zwei Komponenten parallel und senkrecht zur Körperoberfläche zerlegt. Da die Masse des Lichtteilchens sehr viel kleiner ist als die Masse der Atome, wird die senkrechte Geschwindigkeitskomponente wie bei einem zu Boden fallenden Gummiball umgekehrt. Die parallele Geschwindigkeitskomponente wird durch den elastischen Stoß nicht beeinflusst. Setzt man nach dem Stoß die beiden Geschwindigkeitskomponenten wieder zusammen, so erhält man den Geschwindigkeitsvektor v' des wegfliegenden Teilchens. Das Lichtteilchen bewegt sich gerade so, wie es das Reflexionsgesetz vorschreibt.
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Zur Herleitung des Reflexionsgesetzes nach Newtons Lichtmodell |
Aber auch andere Erscheinungen werden durch das Newton'sche Lichtmodell richtig beschrieben. So ist die geradlinige Ausbreitung des Lichts im Vakuum eine Selbstverständlichkeit. Auch die Abnahme der Beleuchtungsstärke bei einer „punktförmigen“ Lichtquelle (Kerze) mit dem Quadrat der Entfernung lässt sich leicht erklären. Da die Lichtteilchen nämlich nach allen Richtungen davonfliegen, durchsetzen sie im doppelten Abstand von der Quelle bereits die vierfache Fläche. Versteht man unter der Beleuchtungsstärke ein Maß für die Zahl der Teilchen, die pro Sekunde auf einen Quadratmeter einer Fläche auffallen, die senkrecht zur Strahlenrichtung steht, so muss die Beleuchtungsstärke bei Verdoppelung des Abstandes auf ein Viertel abnehmen.
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Mit Newtons Lichtmodell lässt sich leicht verstehen, weshalb bei einer punktförmigen Lichtquelle die Beleuchtungsstärke mit der Entfernung abnimmt. |
Einige Widersprüche kann die Newton'sche Teilchentheorie des Lichts aber nicht klären:
a) Auf jene Lichtteilchen, die in den Körper eindringen, wirken nach Newton anziehende Kräfte. Diese gehen von den Atomen des Körpers aus und besitzen eine kurze Reichweite, Tritt ein Lichtteilchen in den Körper über, so wird es an der Körperoberfläche von diesen Kräften erfasst und in den Körper hineingezogen. Dadurch steigt die senkrechte Geschwindigkeitskomponente an, während die parallele Geschwindigkeitskomponente unverändert bleibt. Befindet sich das Teilchen im Körper, so wirken die anziehenden Kräfte von allen Seiten ein und heben einander gegenseitig auf. Das Lichtteilchen bewegt sich daher im Körper unbeschleunigt weiter, und zwar mit einer größeren Geschwindigkeit als im Vakuum. Dies stand im Widerspruch zum Fermat'schen Prinzip. Erst etwa 150 Jahre nach Newton gelang die experimentelle Messung der Lichtgeschwindigkeit durch Foucault. Er wies nach, dass in Materie die Lichtgeschwindigkeit kleiner als im Vakuum ist.
b) Selbst starke Lichtstrahlen können einander ungestört durchdringen.
c) Licht wird an der Körperoberfläche zum Teil reflektiert und zum Teil dringt es in den Körper ein. Die Lichtteilchen müssten also teilweise angezogen und teilweise abgestoßen werden. Eine Erklärung dafür fehlte.
Huygens nahm an, dass der gesamte Raum - auch das Vakuum und das Innere der Körper - von einem besonderen Stoff, dem Lichtäther, erfüllt sei. 3eder leuchtende Punkt einer Lichtquelle ruft im Lichtäther eine Kugelwelle hervor. Diese Kugelwellen hreiten sich aus und überlagern sich ungestört. Fällt ein Lichtwellenzug auf die Netzhaut des Auges, so wird eine Helligkeitsempfindung hervorgerufen. Fällt eine Lichtwelle auf die Oberfläche eines durchsichtigen Körpers, so wird das Licht teils reflektiert, teils dringt es in den Körper ein und pflanzt sich im Inneren des Körpers weiter fort.
Mit Hilfe seiner Theorie der Elementarwellen vermochte Huygens ohne Schwierigkeiten das Reflexionsgesetz und das Brechungsgesetz herzuleiten. Er musste nur annehmen, dass sich die Elementarwellen in Materie mit geringerer Geschwindigkeit ausbreiten als im Vakuum. Für die Beschreibung des Lichts schien Huygens Theorie daher richtig zu sein. Das bedeutet: Das Licht hat Wellennatur.
Mit der Huygens'schen Theorie lässt sich auch verstehen, wieso die Lichtstrahlen einander ohne die geringste Behinderung durchdringen können. Es kommt hier das Gesetz der ungestörten Überlagerung der Elementarwellen zur Anwendung. Nach Huygens wäre es andernfalls unmöglich, „dass mehrere Beobachter gleichzeitig durch ein und dieselbe Öffnung verschiedene Gegenstände sehen können und dass von zwei Personen jede zu gleicher Zeit die Augen des anderen sieht„. Der Huygens'schen Lichttheorie fällt es dagegen schwer, die geradlinige Ausbreitung des Lichts zu erklären.