Eine Besonderheit thermodynamischer Vorgänge
Thermodynamische Vorgänge Fast selbstverständlich und dennoch höchst bemerkenswert ist folgender Sachverhalt: Nie wurde beobachtet, dass sich kaltes Wasser in einem Topf weiter abkühlt und Wärme an die heiße Herdplatte abgibt. Niemals beginnt das Wasser in einer Teetasse zu sieden, während sich die Zimmerluft abkühlt. Im Gegenteil! Der selbständige Wärmeübergang führt immer zu einem Temperaturausgleich und nie zu einer Verstärkung der Temperaturunterschiede.
Diese Erfahrung hat der deutsche Physiker Rudolf Clausius (1822-1888) in einem weiteren Hauptsatz der Wärmelehre formuliert:
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Wärme geht von selbst nur von einem wärmeren auf einen kälteren Körper über und niemals umgekehrt.
Dieser Satz ist deshalb wichtig, weil er eine eindeutige Richtung der Naturvorgänge festlegt. Der erste Hauptsatz (Satz von der Energieerhaltung) würde auch den umgekehrten Vorgang zulassen.
Eine Anmerkung: Der 2. Hauptsatz verallgemeinert eine wiederholt gemachte Erfahrung, nämlich dass ein bestimmter Vorgang noch nie beobachtet wurde. Daraus wird behauptet, dass der Vorgang auch künftig nicht erfolgen kann. Der Schluss ist nach den Gesetzen der Logik nicht zulässig: Wer noch nie schwarze Schwäne gesehen hat, könnte meinen, dass es sie nicht gibt - sie sind jedoch in Australien heimisch. Boltzmanns statistische Thermodynamik lieferte die Rechtfertigung für den 2. Hauptsatz: Wegen der ungeheuer großen Teilchenzahl in thermodynamischen Systemen ist es zwar nicht ausgeschlossen, aber extrem unwahrscheinlich, dass der nichtbeob-achtete Vorgang jemals eintritt.
Reibungsfreien Vorgänge können (gemäß der Newton'schen Mechanik) ebenso gut in der einen wie in der anderen Richtung ablaufen können. Die Bilderreihe zeigt den Zusammenstoß zweier Kugeln. Ohne zusätzliche Information kann man nicht feststellen, ob der Vorgang in der Reihenfolge a bis e oder umgekehrt abläuft. Auch die Folge e bis a beschreibt einen physikalisch möglichen Vorgang. Wir sprechen daher von einem umkehrbaren oder reversiblen Vorgang.
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Dagegen kann man die Bilder vom Zusammenstoß zweier Autos sofort richtig ordnen. Der natürliche Ablauf des Vorgangs lautet: Bewegung, Aufprall, Deformation, Stillstand. Beim zeitlich umgekehrten Vorgang würden die deformierten und ruhenden Autos sich von selbst reparieren und dabei nach rückwärts aus einander fahren. Wenn ein Film des Aufpralls umgekehrt vorgeführt wird, merkt man sofort, dass ein solcher Vorgang in Wirklichkeit niemals vorkommt. Was hat dies mit Wärmelehre zu tun? Beim Aufprall des Autos wird dessen gesamte kinetische Energie in ungeordnete Molekularbewegung umgewandelt und dabei das Auto verformt und erwärmt. Beim zeitlich umgekehrten Vorgang müsste sich das Fahrzeug von selbst abkühlen und gleichzeitig die Energie der ungeordneten thermischen Bewegung teils zur Wiederherstellung der Struktur des Autos nutzen, teils in die geordnete Bewegung des gesamten Autos überführen. Nach den Gesetzen der Newton'schen Mechanik wäre dies nicht unmöglich, nach Boltzmanns Thermodynamik aber extrem unwahrscheinlich. Die Selbstreparatur des Schrottautos widerspricht dem zweiten Hauptsatz. Wir haben es daher mit einem nicht umkehrbaren oder irreversiblen Vorgang zu tun.
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Wenn ein Vorgang von selbst nur in einer Richtung ablaufen kann, bezeichnet man ihn als irreversibel. Der 2. Hauptsatz bestimmt die Richtung von irreversiblen Prozessen.
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Gib Beispiele für reversibel und für irreversible Vorgänge an!
Reversible Vorgänge sind z.B. ungedämpfte Pendelschwingungen oder elastische Stöße. Sie kommen in der Natur wegen der unvermeidlichen Reibung niemals vor.
Im Alltag beobachtet man irreversible Prozesse: Gedämpfte Pendelschwingungen, unelastische Stöße, Erwärmung durch Reibung, Diffusion, Wärmeleitung, Deformationen usw. Fensterscheiben können beim Ballspiel zwar zerbrechen, aber sie haben sich noch nie von selbst repariert!
LF Stehen irreversible Vorgänge zum 1. Hauptsatz in Widerspruch?
In einem abgeschlossenen System lässt sich aus Energieänderungen keine Richtung für thermische Prozesse ablesen.
Die Richtung wird durch die Änderung einer anderen Zustandsgröße charakterisiert, nämlich durch die Änderung der Entropie.
Die Entropie `S` ist eine Zustandsgröße, sie hängt nur vom aktuellen Zustand des abgeschlossenen thermischen Systems ab.
Findet in einem abgeschlossenen System ein irreversibler Prozess statt, so nimmt die Entropie `S` dieses Systems zu: `ΔS>0`
Bei reversiblen Prozessen bleibt die Entropie gleich: `ΔS=0`.
Die gesamte Entropie eines Systems kann nicht abnehmen.
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EX Entropieänderung bei Wärmeübergang
Wenn sich in einem thermodynamischen Prozess der Zustand des Systems ändert, ändert sich meist auch die Entropie des Systems.
Die Änderung der Entropie eines Systems beträgt `ΔS=Q/T`.
`Q` ist die übertragene Wärme, `T` die entsprechende Temperatur
Das neu geschaffene Wort Entropie ist dem Wort Energie nachempfunden. Energie weist auf die im System steckende Arbeitsfähigkeit (ergon, griechisch Arbeit) hin, Entropie auf die Umwandlungsfähigkeit.
Wir betrachten ein System, das aus einem wärmeren Körper (Temperatur `T_1`) und einem kälteren Körper (`T_2`) besteht, und berechnen die Entropieänderung des Systems beim Übergang von Wärme `Q` vom wärmeren auf den kälteren Körper (`T_2`). Wenn ein Körper bei der Temperatur `T` die Wärmemenge `Q` aufnimmt, dann steigt seine Entropie um `ΔS=Q/T`. Bei Wärmeabgabe nimmt die Entropie des Körpers ab. Die gesamte Entropieänderung beträgt daher
`ΔS=ΔS_1+ΔS_2 = -Q/T_1+Q/T_2 =( Q*(T_1-T_2))/(T_1*T_2)`.
Wegen `T_1>T_2` ist also `ΔS>0`. Die Entropie des Gesamtsystems nimmt zu, wenn Wärme von einem wärmeren auf einen kälteren Körper übergeht.
Für die Entropie `S` gilt im Unterschied zur Energie kein Erhaltungssatz. Während die Gesamtenergie in einem abgeschlossenen System erhalten bleibt, nimmt die Gesamtentropie bei irreversiblen Vorgängen (also bei praktisch allen natürlich ablaufenden Prozessen) zu. Dabei wird wie beim Energiesatz vorausgesetzt, dass das System abgeschlossen ist.
BEM Wärmetod - realistische Entwicklung oder nicht?
Mit der Entropiezunahme ist eine zeitliche Entwicklung des Gesamtsystems verbunden. Im Beispiel gab es anfangs, d.h. in der Vergangenheit, Temperaturunterschiede im System, die sich in der Zukunft ausgleichen. `ΔS>0` bestimmt die Richtung, in der irreversible Prozesse ablaufen, das System altert - die Zeit verstreicht! Wenn das Temperaturgleichgewicht erreicht ist, gilt `ΔS=0`, und das System ändert sich nicht mehr, die Zeit ist stehen geblieben.
Rudolf Clausius, der die Welt noch als abgeschlossenes System ansah, hat die Folgerungen aus dem 1. und dem 2. Hauptsatz folgendermaßen ausgedrückt:
Die Energie der Welt ist konstant, die Entropie der Welt strebt einem Maximum zu.
Am Ende des 19. 3hs. hat man diese Argumente auf das Universum angewendet und man kam zu einer schockierenden Einsicht: Im Lauf der Zeit sollten sich die Temperaturunterschiede ausgleichen, in einem gleichmäßig warmen Universum würden alle Veränderungsprozesse zum Stillstand kommen. Man sprach vom Wärmetod des Universums - auch wenn dieser erst in ferner Zukunft eintreten sollte. Aus heutiger Sicht ist es allerdings ungewiss, ob das Universum ein abgeschlossenes System ist oder Teil eines größeren Systems ist - trotz aller Fortschritte der Physik enthält die Kosmologie noch viele Rätsel.
Ein Mol eines idealen Gases, also `n=N_L=6*10^(23)` Moleküle, befindet sich in der linken Hälfte eines durch eine Wand geteilten Behälters. Entfernt man die Wand, so verteilen sich die Gasteilchen gleichmäßig auf das gesamte Volumen, sie sind in ständiger Bewegung. Der Vorgang ist irreversibel. Niemand hat je beobachtet, dass sich das Gas von selbst wieder in eine Behälterhälfte zurückzieht. Aber ist dies prinzipiell unmöglich? Eine einfache Überlegung hilft dies zu klären.
(1) Ist im Behälter nur ein Teilchen vorhanden (`n=1`), so ist es mit jeweils gleicher Wahrscheinlichkeit `P_1 = 0,5` links wie rechts anzutreffen.
(2) Fügen wir ein zweites Teilchen hinzu. Auch dieses wird sich mit der Wahrscheinlichkeit `P_2=0,5` links befinden. Die Wahrscheinlichkeit, beide Teilchen gleichzeitig links zu finden, ist `P=P_1*P_2 = 0,25`. Im Mittel finden wir diese Situation bei jeder vierten Beobachtung.
(3) Jedes weitere Teilchen halbiert die Wahrscheinlichkeit, alle Teilchen links zu finden, so dass wir bei n Teilchen durchschnittlich 2n-mal beobachten müssen, bis wir alle Teilchen eines Mol Gas einmal links vorfinden.
Bei `10` Teilchen müsste man im Mittel `2^10=1024` Beobachtungen machen und dies würde bei einer Beobachtung pro Sekunde etwa eine Viertelstunde dauern. Aber bereits bei `100 `Teilchen wären durchschnittlich `2^100 = (1024)^10 = ca. 10^(30)` Beobachtungen nötig.
Wie viele Jahre brauchte man dafür? Für `n=N_L=6*10^(23)` ist `2^n` viel größer als jede vorstellbare Zahl! Es ist also extrem unwahrscheinlich, dass ausgeströmtes Gas sich durch Zufall jemals wieder sammelt.
Statistik spricht gegen Umkehr und Wiederkehr
Die von selbst eintretende Umkehr irreversibler Vorgänge ist nicht prinzipiell unmöglich, aber statistisch gesehen extrem unwahrscheinlich.
Entropie und Wahrscheinlichkeit
Führen wir das obige Gedankenexperiment weiter und zählen wir die Möglichkeiten ab, eine Anzahl Teilchen auf links und rechts zu verteilen.
Wahrscheinlichkeitsverteilung bei 4 Teilchen:
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Dadurch finden wir die relativen Wahrscheinlichkeiten, Es gibt 6 Möglichkeiten, gleich viele Teilchen links und rechts zu platzieren, aber nur 1 Möglichkeit, alle Teilchen links zu platzieren. Bei 4 Teilchen ist daher die Gleichverteilung bereits 6-mal häufiger bzw. wahrscheinlicher als die Ausgangsverteilung, bei 6 Teilchen bereits 20-mal, bei 8 Teilchen 70-mal, u.s.w. Damit wird verständlich, dass beträchtliche Abweichungen von der Gleichverteilung extrem unwahrscheinlich sind.
Die Anzahl W der Möglichkeiten für eine bestimmte Aufteilung der Teilchen auf links und rechts bestimmt die relative Wahrscheinlichkeit dieser Aufteilung. Allgemein gilt: Von selbst ablaufende Prozesse verlaufen stets so, dass die Entropie maximal wird. Die statistische Betrachtung zeigt, dass ein sich selbst überlassenes thermodyna-misches System den wahrscheinlichsten Zustand (W maximal) anstrebt und nur kleine Schwankungen um diesen wahrscheinlichste Zustand auftreten, große Schwankungen aber sehr unwahrscheinlich sind.
Dies legt nahe, dass zwischen der Entropie eines Zustands und der Wahrscheinlichkeit eines Zustands ein Zusammenhang besteht. Den Zusammenhang hat Ludwig Boltzmann gefunden. Wegen ihrer Bedeutung befindet sich diese Beziehung sogar als Inschrift auf seinem Grabmal in Wien:
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Entropiedefintion nach Boltzmann `S = k*\ln W`
Die Boltzmann-Konstante `k=1,38*10^(-23)` J/K wurde bereits im Zusammenhang mit der mittleren kinetischen Energie der Teilchen eines idealen Gases eingeführt. `W` ist die Anzahl der Möglichkeiten, einen speziellen thermodynamischen Zustand eines Systems durch seine Teilchen zu realisieren.
`W=1` gilt z.B. am - nicht erreichbaren - absoluten Nullpunkt, weil es dort nur einen einzigen Zustand gibt: Die Moleküle bewegen sich nicht. Die Entropie ist null, weil dann `ln 1 = 0` ist.
Entropie und Information:
Ein Informationsverlust bedeutet eine Zunahme der Entropie (und umgekehrt). Bei den dargestellten Vorgängen geht Information z.B. über den Ort der Teilchen verloren, da ihnen nachher mehr Raum zur Verfügung steht.