Untertitel: Das Bernsteinexperiment
<wrap nos>Du kannst das „Bernsteinexperiment„ auch mit heutigen Alltagsgegenständen durchführen. Es scheint irgendwie klar zu sein, dass Elektrizität im Spiel ist. Aber hast du eine genaue Erklärung dafür? Es spielen nämlich mehrere Effekte zusammen! Du wirst diese in den kommenden Abschnitten genauer kennen lernen. Zum Schluss werden wir noch einmal auf diese Experimente zurückkommen.</wrap> <wrap oos>Erste Beobachtungen am Bernstein</wrap>
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Wenn man bestimmte Dinge aneinander reibt (etwa einen Löffel und einen Wollpullover), dann kann man Elektrizität erzeugen. Aber wie funktioniert das genau?
Du kennst das: Wenn du bestimmte Pullover ausziehst, dann knistert es ziemlich, und wenn du dann etwas berührst, kannst du sogar einen leichten Stromschlag bekommen. Ähnliches ist möglich, wenn du über einen Teppich gehst und dann eine Türschnalle berührst oder wenn du beim Aussteigen die Autotür berührst. Woher kommen die elektrischen Ladungen? Wenn du in einem offenen PC den Arbeitsspeicher berührst, dann solltest du vorher auf eine Metallfläche greifen. Warum?
Dass man einen Gegenstand durch Reibung elektrisch aufladen kann, weiß man seit etwa 2600 Jahren durch den Bernstein. Diesen Effekt nennt man Reibungselektrizität. Man kann die Stoffe danach ordnen, ob sie sich beim Reiben eher positiv oder negativ aufladen (siehe Tab. 23.1). Das liegt daran, dass manche Stoffe die Ladungen leichter abgeben als andere. Wenn du Bernstein mit Wolle reibst, dann lädt sich die Wolle positivauf und der Bernstein negativ. Wenn du einen Pullover aus Kunstfaser ausziehst, dann laden sich dein Baumwollhemd und deine Haare positiv auf und der Pullover negativ.
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Woher kommen aber die Ladungen (F1)? Werden sie durch das Reiben erzeugt? Nein, die Ladungen werden getrennt. Der Löffel in Abb. 23.5 nimmt durch das Reiben negative Ladungen auf, die dann natürlich im Wolltuch fehlen. Wolle und Löffel sind nachher gleich stark, aber gegengleich geladen. Generell gilt: In einem abgeschlossenen System ist die Gesamtladung immer gleich groß.
Wenn du mit Gummisohlen über einen Wollteppich gehst, dann laden sich diese und somit auch dein ganzer Körper negativ auf und der Boden positiv. Wenn du dann die Türschnalle berührst, fließen die Ladungen wieder ab und es funkt. Dasselbe kann auch passieren, wenn du Teile in deinem Computer berührst und diese könnten dabei beschädigt werden. Deshalb solltest du vorher immer auf einen Leiter greifen, damit deine überschüssigen Ladungen abfließen können (F2).
Untertitel: Ein Quäntchen Elektrizität
Materie hat eine sehr interessante Eigenschaft: Wenn man sie teilt und teilt, dann stößt man irgendwann einmal auf etwas Unteilbares. Diese kleinsten Teilchen nennt man Quanten. Für uns sind hier die Bestandteile der Atome interessant: Neutronen, Protonen und Elektronen. Erstere sind zwar theoretisch noch einmal teilbar, aber im Alltag spielt das keine Rolle.
Mit der Ladung ist es wie mit der Materie: Man stößt irgendwann einmal auf etwas Unteilbares (F4). Die kleinste, frei vorkommende Ladung haben das Proton (+) und das Elektron (-). Sie sind gleich stark, aber gegengleich geladen. Dass die Elektronen negativ geladen sind, ist reine Definitionssache. Man hätte es auch umgekehrt festlegen können (F5).
Die Ladung der Protonen und Elektronen nennt man die elektrische Elementarladung e. Sie entspricht `1,6 \cdot 10^{-19}`C (Coulomb). Jede in der Natur vorkommende Ladung ist ein ganzzahliges vielfaches von e. Diesen Wert kann man nicht berechnen, sondern nur im Experiment bestimmen. Der erste, dem das gelang, war der Amerikaner Robert Millikan 1907, der dafür 1923 den Nobelpreis für Physik bekam.
Welche Ladungen werden beim Reiben übertragen (F5)? Nur negative! Warum? Weil es durch Reiben unmöglich ist, Protonen aus dem Kern herauszulösen. Elektronen können aber relativ leicht aus der Hülle abgelöst werden. Der Löffel in Abb. oben hat also einen Elektronenüberschuss und das Tuch einen Elektronenmangel. Du siehst daran, dass sich etwas positiv aufladen kann, auch wenn nur Elektronen fließen.
Untertitel: 6 Trillionen Elektronen
Bevor wir uns die Kräfte zwischen Ladungen ansehen, noch ein kurzer Blick auf die Ladung selbst. Die Einheit der Ladung ist das Coulomb (C), Sie ist im Alltag nicht gebräuchlich und es ist nicht leicht, sich etwas darunter vorzustellen. Man kann aber so sagen: Eine volle Batterie hat eine Ladung von einigen Tausend Coulomb. Weil die Elementarladungen so winzig sind, ist es nicht praktikabel, die Zahl der einzelnen Ladungen anzugeben.
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Obwohl es mehreren Forschern gelang, ein Gesetz für die elektrische Kraft aufzustellen, wird dieses dem Franzosen Charles Auguste De Coulomb zugeschrieben, nach dem auch die Einheit der Ladung benannt ist. Er hat es um etwa 1776 formuliert, und es gilt zwischen zwei punktförmigen oder kugelförmigen Ladungen. Du siehst, dass die Gleichung dem Gravitationsgesetz sehr ähnlich ist.
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| Elektrische Kraft (Coulomb-Gesetz): $F_E = k\cdot \frac{Q_1\cdot Q_2}{r^2}$ | ||
|---|---|---|
| `F_E` | Elektrische Kraft, `[F_E]` = 1N | |
| `Q_1,Q_2` | Ladung der Gegenstände `[C]` | |
| `r` | Abstand der Ladungen `[m]` | |
| `k` | Proportionalitätskonstante $c = 8,99 \cdot 10^9$ Nm²/C² | |
Trotz vieler Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Gesetzen gibt es aber auch zwei wesentliche Unterschiede (siehe Tabelle). Erstens ist die elektrische Kraft viel viel größer als die Gravitationskraft. Sie ist die zweitstärkste der vier Kräfte im Universum, die Gravitationskraft hingegen die schwächste. Der zweite große Unterschied: Während sich Massen nur anziehen können, können sich Ladungen auch abstoßen.
Untertitel: Des Rätsels Lösung
Warum schlägt das Elektroskop aus, obwohl es vom Stab noch gar nicht berührt wird (F10)? Das liegt daran, dass der geladene Stab bereits vor der Berührung die Elektronen im Haken und den Metallstreifen verschiebt. Diesen Effekt nennt man Influenz, und er tritt nur in elektrischen Leitern auf. Egal, wie der Stab geladen ist, durch die Verschiebung der Elektronen laden sich die Metallstreifen gleich auf und stoßen einander ab (Abb.).
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Wir haben einen weiten Bogen vom Bernstein über das Quark zur elektrischen Kraft gespannt und kommen jetzt zu den Lösungen der eingangs gestellten Fragen. Wieso kann man mit einem geladenen Löffel Papierschnipsel anziehen und sogar einen Wasserstrahl verbiegen? In beiden Fällen handelt es sich doch um ungeladene elektrische Isolatoren!
Auch Isolatoren werden in der Nähe eines geladenen Objekts beeinflusst. Allerdings können in diesen die Ladungen nicht frei fließen. Trotzdem kommt es zu einer Art „Ladungstrennung“. Normalerweise fallen die Mittelpunkte der positiven und negativen Ladung bei den Atomen zusammen. Nach außen hin ist es dann elektrisch neutral (folgende Tab., obere Zeile). In der Umgebung eines geladenen Körpers werden aber die
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Elektronenorbitale verzerrt, und es verschieben sich die Ladungsmittelpunkte (Tab., mittlere und untere Zeile). Aus dem neutralen Atom wird dadurch ein elektrischer Dipol. Diesen Effekt nennt man Polarisation. Wenn du dich mit dem geladenen Bernstein oder Löffel einem Papierschnipsel näherst, dann werden die Papier-Atome zuerst polarisiert und den Rest übernimmt die elektrische Anziehungskraft (F11). Die Tatsache, dass ein geladener Gegenstand einen ungeladenen Isolator anziehen kann, ist ein indirekter Beleg dafür, dass dessen Atome durch die elektrische Kraft verzerrt werden. Sonst wären sie nach außen hin neutral und würden nicht angezogen werden. Du siehst also, dass die Erklärung des „Bernsteinexperiments„ nicht ganz so simpel ist. Beim Wasserstrahl ist es etwas anders, weil die Wassermoleküle von vornherein polarisiert sind.