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Orbitale des Wasserstoffatoms

Untertitel: Im Quantenkäfig

Mit der Unschärferelation kann man das Wasserstoffatom im Grundzustand sehr gut erklären. Um angeregte Zustände zu verstehen, braucht man aber die Wellenfunktion. Jetzt wird es noch abstrakter.

Wir haben im Abschnitt über das Wasserstoffatom qualitativ abgeleitet, wie die Heisenberg'sche Unschärferelation den Kollaps der Atome verhindert. Um aber das Linienspektrum des Wasserstoffs erklären zu können, reicht diese Überlegung nicht aus. Dazu müssen wir stehende Wellen, Potenzialtöpfe und die Wellenfunktion miteinander verknüpfen. Weil das quantenmechanische Atommodell schwer zu verstehen ist, gehen wir langsam Schritt für Schritt vor und schauen uns diese drei Begriffe noch einmal etwas genauer an.

Eine „normale„ Welle breitet sich durch den Raum aus, zum Beispiel wenn du einen Stein ins Wasser wirfst. Bei einer stehenden Welle sind Bäuche und Knoten aber Stelle (F9). Ein sehr anschauliches Beispiel dafür sind schwingende Saiten, Seifenlamellen oder die Felle von Trommeln.

Überall dort, wo Kräfte auftreten, gibt es auch potenzielle Energien, zum Beispiel bei der Gravitationskraft oder der elektrischen Kraft. Mit dem Begriff Potenzialtopf bezeichnet man einen Bereich, in dem die potenzielle Energie geringer ist als in der Umgebung. Lass dich nicht vom Begriff irritieren. Oft sehen diese „Töpfe“ eher wie Mulden aus. Der Punkt ist aber der: Befindet sich etwas in einem Potenzialtopf, dann muss man Energie aufwenden, es herauszubekommen. Ein sehr anschauliches Bild ist eine Kugel in einer Mulde. Aber auch ein Elektron im elektrischen Feld eines Protons befindet sich in einer Energiemulde. Willst du es ablösen, brauchst du Energie.

Kommen wir zum letzten Begriff. Jedes Quant weist Welleneigenschaften auf, die man mit einer Wellenfunktion (<A9 beschreiben kann (siehe Kapitel 26.5). Hat man diese, dann kann man auf die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Teilchens schließen. Der österreichische Physiknobelpreisträger Erwin Schrödinger (Abb. 27.16) stellte 1926 eine Gleichung auf, mit der man eben diese Wellenfunktion eines Quants berechnen kann. Weil die Mathematik dazu extrem schwierig ist, sehen wir uns eine grafische Lösung an. Wir beginnen bei einem idealisierten Beispiel: einem Elektron in einem eindimensionalen, unendlich hohen Potenzialtopf.




Der österreichische Nobelpreisträger Erwin Schrödinger war gemeinsam mit dem Symbol `\Psi` für die von ihm entwickelte Wellenfunktion auf dem alten 1000-Schillingschein verewigt.





Ein Elektron im „Quantenkäfig„. Links die Wellenfunktion V, die man mit der Schrödingergleichung berechnen kann. Sie beschreibt die Wahrscheinlichkeitswelle. Rechts die dazugehörige Wahrscheinlichkeitsdichte |V|2. Je höher diese an einer bestimmten Stelle ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, das Elektron bei der Messung dort anzutreffen. Verblüffend: Bei Oberwellen gibt es innerhalb der Box Orte mit der Wahrscheinlichkeitsdichte null. Genau an dieser Stelle wird man das Elektron niemals antreffen.

Was passiert, wenn ein Elektron in diesem „Käfig“ gefangen ist? Ähnlich wie beim Seil bilden sich auch hier stehende Wellen aus. Wichtig: Nicht das Elektron schwingt, sondern die Wahrscheinlichkeitswelle. Das ist etwas völlig anderes. Das Elektron kann ja nicht schwingen, weil es dann Strahlung aussenden müsste. Und wir wissen, dass es das nicht tut.

Ähnlich wie bei der Saite sind auch bei der Wahrscheinlichkeitswelle nur ganz bestimmte Längen möglich, die genau zu den Abmessungen des Potenzialtopfs passen müssen. Je kürzer die Wellenlänge, desto höher die Energie des Elektrons. Das Elektron kann nur ganz bestimmte Energiezustände einnehmen. Man sagt daher auch, die Energie ist quantisiert. Damit kann man die Linien im Wasserstoffspektrum erklären (siehe Kap. 28.1)!

Wenn man die Wellenfunktion `\Psi` des Elektrons kennt, dann kann man auch die Wahrscheinlichkeitsdichte `|\Psi|^2` berechnen (vorhergehende Abb. rechts). Je höher diese an einer bestimmten Stelle ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, bei einer Messung das Elektron tatsächlich dort anzutreffen.

Dass bei der Grundwelle die größte Wahrscheinlichkeit in der Mitte liegt, scheint einleuchtend zu sein. Aber schon bei der ersten Oberwelle versagt unsere Intuition kläglich. Denn die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen in der Mitte zu finden, ist bei dieser nämlich null (vorhergehende Abb. rechts). Je kürzer die Wellenlänge ist, desto mehr solcher „verbotener„ Stellen tauchen auf. Das ist sehr verblüffend! Denk zur Beruhigung wieder an den Ausspruch von Richard Feynman: „Ich gehe davon aus, dass niemand die Quantenmechanik versteht!“. Bis jetzt haben wir einen vereinfachten, eindimensionalen Fall betrachtet. Wie man sich die Grundwelle in drei Dimensionen vorstellen kann, zeigt Abb. 27.18. Das Elektron ist dann quasi in einem Potenzialwürfel eingesperrt (a) und es ergibt sich ein kugelförmiges Orbital (b-d). Je weiter man sich vom Atomkern entfernt, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeitsdichte.




Das einfachste Orbital, das 1s-Orbital, in verschiedenen Darstellungen: a) Wahrscheinlichkeitsdichte in den einzelnen Dimensionen im Potenzialwürfel, b) 3d-Wolke c) Zufallspunkte, d) Fläche.

Dass das Orbital mit der niedrigsten Energie, man nennt es das 1s-Orbital, kugelförmig sein muss, haben wir schon aus der Unschärferelation abgeleitet. Mit Hilfe der Wellenfunktion kann man aber auch die Orbitale berechnen, wenn sich das Elektron im angeregten Zustand befindet. Die einzige Variation bei eindimensionalen stehenden Wellen ist die, dass die Wellenlänge der Oberwellen kürzer wird. Aber bereits in zwei Dimensionen gibt es sehr viele Variationsmöglichkeiten, wie man an den Beispielen in Abb. 27.12 und 27.13 sehr gut sehen kann.

Die dreidimensionalen stehenden Wahrscheinlichkeitswellen im Wasserstoffatom können noch wesentlich komplizierter sein. Einige Beispiele dazu siehst du in Abb. 27.19. Zu ihrer exakten Berechnung darf man aber nicht die idealisierte Form des Potenzialtopfs verwenden, sondern die tatsächliche.




Einige Beispiele für Orbitalformen im Wasserstoffatom. Mit zunehmender Energie werden die Formen immer bizarrer. Die drei Ziffern geben die Hauptquantenzahl `n`, die Drehimpulsquantenzahl `l` und die magnetische Quantenzahl `m` an.

Zusammenfassung

Das Elektron in der Hülle eines Wasserstoffatoms kann mit einer stehenden Wahrscheinlichkeitswelle beschrieben werden. Sie erlaubt die Berechnung der Wahrscheinlichkeit, das Elektron an bestimmten Punkten messen zu können. Diese wird auch als Orbital bezeichnet.

Wie bei einer schwingenden Saite sind auch bei den Orbitalen Oberwellen möglich, die den Wahrscheinlichkeitswellen der angeregten Elektronen entsprechen. Da aber nur ganz bestimmte Konfigurationen erlaubt sind, kann das Elektron auch nur ganz bestimmte Energien annehmen. Die Energie des Elektrons ist quantisiert.