Untertitel: Freier Fall und Vollbremsung
Wir vernachlässigen im Folgenden jetzt einmal den Luftwiderstand! Die folgende Abb. zeigt die Geschwindigkeitsänderung von frei fallenden Gegenständen auf Erde und Mond. Du siehst, dass die Geschwindigkeit in beiden Fällen gleichmäßig mit der Zeit anwächst. Hier handelt es sich daher um gleichmäßige Beschleunigungen.
| t-v-Diagramm für frei fallende Gegenstände auf Erde und Mond. |
Der Anstieg einer Geraden im t-v-Diagramm ist ein Maß für die Geschwindigkeitsänderung, also für die Beschleunigung. Auf der Erde hat ein Gegenstand nach einer Sekunde 10 m/s, nach 2 Sekunden 20 m/s und so weiter. Pro Sekunde nimmt die Geschwindigkeit im freien Fall um $10 m/s$ zu. $10 m/s$ pro Sekunde sind $10 (m/s)/s$ oder $10 m/s^2$. Daher sagt man, dass die Erdbeschleunigung (g) $10 m/s^2$ beträgt. Am Mond beträgt die Gravitation nur 1/6. Deshalb ist die Mondbeschleunigung nur $1,67 m/s^2$. Allgemein ist die Beschleunigung als Geschwindigkeitsänderung pro Zeit definiert.
| Beschleunigung: | $\vec{a} = \frac{\vec{\Delta v}}{\Delta t} \Rightarrow \Delta v = \vec{a} \cdot \Delta t$ | |
|---|---|---|
| $a$ | Beschleunigung | $[v] = 1 m/s²$ |
| $\Delta v$ | zurückgelegter Weg | $[s] = 1 m $ |
| $\Delta t$ | Zeitintervall | $[t] = 1 s$ |
Erinnere dich: die Fläche unter der v-t-Kurve gibt den zurückgelegten Weg an. In Abb. 6.19 sind die Dreiecke für den freien Fall auf der Erde für die ersten drei Sekunden herausgezeichnet und nebeneinander gestellt. Die Fläche eines Dreiecks ist „Seite mal Seite halbe„. Daher ergeben sich folgende Fallstrecken für die ersten drei Sekunden: 5 m, 20 m und 45 m. Die Fallstrecke wächst nicht linear, sondern mit dem Quadrat der Zeit!
| Die Fläche unter der v(t)-Kurve ergibt die Fallstrecke in Metern, also $(1s \cdot 10 m/s) : 2 = 5 m$ usw. |
Nach zwei Sekunden hat sich die Fallstrecke vervierfacht, nach drei Sekunden verneunfacht und so weiter. Damit lässt sich F12 beantworten. Wenn der Hammer nach einer Sekunde ein Stockwerk tief ist (5 m), dann ist er nach zwei Sekunden bereits vier Stockwerke tief gefallen (20 m) und nach drei Sekunden wäre er bereits neun Stockwerke tief (45 m). Es handelt sich ja hier um eine beschleunigte Bewegung.
| t-s-Diagramm eines freien Falls auf Erde (untere Kurve) und Mond. Die s-Achse ist umgedreht, um die Falltiefe besser zu verdeutlichen. |
Diese Abb. ist ein t-s-Diagramm der beiden Fallbewegungen auf Erde und Mond. Du siehst, dass in beiden Fällen die Fallstrecke nicht linear ansteigt. Beim Fall auf der Erde sind die Fallstrecken extra eingetragen. Wir werden diese Werte noch öfter brauchen.
| Grafische Ableitung der Gleichung für die Falltiefe. |
Wie kommt man auf eine brauchbare Gleichung für die Falltiefe? Man kann diese aus der Fläche unter der i/-t-Kurve und der Gleichung für die Beschleunigung herleiten. Die Dreiecksfläche ist „Geschwindigkeit mal Zeit halbe“. Die Geschwindigkeit v ist aber wiederum at. Daher ergibt sich für die Falltiefe folgende Gleichung:
| Falltiefe beim freien Fall: | $s = \frac{v\cdot t}{2} = \frac{a\cdot t \cdot t}{2} = \frac{a}{2}t² \Rightarrow t=\sqrt{\frac{2s}{a}}$ gilt, wenn $s, t$ und $v$ zu Beginn der Messung null sind |
|
|---|---|---|
| $a$ | Beschleunigung | $[a] = 1m/s²$ |
| $v$ | Geschwindigkeit | $[v] = 1 m/s$ |
| $t$ | Zeit | $[t] = 1 s$ |
Diese Gleichung gilt allgemein für gleichmäßig beschleunigte Bewegungen. Für den freien Fall auf der Erde musst du für die Beschleunigung g einsetzen, wodurch sich die Gleichung auf $s \approx 5 t^2$ vereinfachen lässt. Überprüfe damit die Angaben in obiger Abb..
Wie musst du die Höhe vergrößern, damit sich die Aufprallgeschwindigkeit am Boden verdoppelt (F13)? Wir werden später noch eine Gleichung dazu ableiten. Hier machen wir aber eine grafische Überlegung. Sieh dir noch einmal Abb. 6.19 an. Die Fläche der Dreiecke ist die Falltiefe, die senkrechte Seite die Geschwindigkeit. Diese Geschwindigkeit kannst du verdoppeln, indem du die Fallzeit verdoppelst (Achtung, nicht die Fallstrecke!). Wenn sich aber Fallzeit und Geschwindigkeit verdoppelt haben, dann hat sich die Fläche vervierfacht! Du musst die Fallhöhe vervierfachen, damit sich die Aufprallgeschwindigkeit verdoppelt. Am Mond ist das genauso!
Zusammenfassung
Im Alltag spricht man vom Beschleunigen und vom Bremsen. In der Physik ist jede Geschwindigkeitsänderung eine Beschleunigung. Man spricht von positiver Beschleunigung, wenn etwas schneller wird, und von negativer Beschleunigung, wenn etwas langsamer wird. Wenn man nur von Beschleunigung spricht, dann ist meistens eine positive gemeint.
Die Beschleunigung ist wie auch die Geschwindigkeit ein Vektor. Wenn diese Vektoren parallel sind, dann wird die Geschwindigkeit mit der Zeit größer. Es liegt dann eine positive Beschleunigung vor (folgende Abb. links). Wenn sie antiparallel sind, liegt eine negative Beschleunigung vor (rechts).
| Positive und negative Beschleunigung |
F14 und F15 sind ein Schlüssel zum Verständnis der gleichmäßig beschleunigten Bewegungen. Wenn du den Film vom fallenden Stein verkehrt abspulst, dann fliegt dieser nach oben und wird dabei langsamer, bis er nach drei Sekunden am höchsten Punkt zum Stillstand kommt. Im Film sieht es dann genau so aus, als wäre der Stein von unten senkrecht weggeworfen worden. In welche Richtung zeigt g? Die Erdbeschleunigung zeigt nach wie vor nach unten! Würde g nach oben zeigen, dann würde der Stein ja immer schneller und schneller nach oben fliegen und nicht langsamer werden. Der Flug nach oben ist die genaue zeitliche Umkehr des Flugs nach unten.
Mit dem Stein bei der Sprengung ist es genauso. Aufsteigender und absteigender Teil sind im Prinzip völlig gleich, laufen aber umgekehrt ab. Du könntest den Film rückwärts spulen, und der Stein würde exakt dieselbe Bewegung ausführen. Klar, die Explosion würde verkehrt ablaufen, aber es geht hier nur um die Bahn des KSP! Fangen wir mit dem absteigenden Teil an. Dieser dauert natürlich drei Sekunden und beginnt am höchsten Punkt mit der Geschwindigkeit null. Den Rest kennst du schon. In drei Sekunden fliegt der Stein 45 m tief (Abb. 6.25 rechts). Also muss der höchste Punkt der Bahn bei 45 m liegen. Wie schnell prallt der Stein auf? Nachdem er drei Sekunden geflogen ist mit 30 m/s.
Im aufsteigenden Teil läuft alles spiegelbildlich ab (Abb. 6.25 links). Wie schnell muss der Stein wegfliegen, damit er auf 45 m aufsteigen kann? Mit 30 m/s nach oben (Beachte: Die Geschwindigkeitsvektoren bei Abflug und Aufprall sind antiparallel). In der ersten Hälfte ist der Stein negativ beschleunigt, in der zweiten positiv. Aber in beiden Fällen handelt es sich um eine gleichmäßige Beschleunigung, weil sich die Geschwindigkeit pro Sekunde immer um denselben Wert verändert. Der erste Teil der Kurve entspricht genau dem, was auch beim Bremsen passiert. Beim Bremsen handelt es sich um eine negative Beschleunigung (Abb. 6.24 b).
Wie sieht es mit dem Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Bremsweg aus? Überlegen wir mal ohne Gleichung. Im Prinzip ist die Frage nach dem Bremsweg (F15) eine Umkehrung der Frage mit dem Hammer (F11). Spul' den Film rückwärts ab! Du siehst dann einen Hammer, der mit 10 m/s ein Stockwerk unter dem Dach startet und oben zum Stillstand kommt. Oder du siehst einen Hammer, der mit 20 m/s vier Stockwerke unter dem Dach startet und genau oben zum Stillstand kommt. Du siehst also: Doppelte Geschwindigkeit bedeutet 4fachen Weg zum Abbremsen. Und genau so ist es auch beim Bremsweg beim Autofahren.
Man kann es auch so formulieren: Wenn sich die Geschwindigkeit verdoppelt, dann verdoppelt sich auch die Zeit, um stehen zu bleiben. Eine Verdopplung der Zeit bedeutet bei einer gleichmäßigen Beschleunigung aber eine Vervierfachung des Weges. Der Bremsweg wächst mit dem Quadrat der Geschwindigkeit. Natürlich kann man das auch mit einer Gleichung ausdrücken.
Was heißt das in der Praxis? Wenn ein Fahrer das Auto mit 100 km/h voll abbremst, dann ist der Bremsweg bereits 4-mal so groß wie bei 50 km/h (F16). Und bei 150 km/h ist der Bremsweg bereits 9-mal so groß wie bei 50 km/h! Diese quadratische Zunahme des Bremswegs mit der Geschwindigkeit wird oft unterschätzt.
Was bedeutet das in konkreten Zahlen? Die gesetzlich vorgeschriebene Mindestbremsverzögerung beträgt 4,5 m/s2. Das bedeutet, dass dein Auto pro Sekunde um 4,5 m/s oder 16,2 km/h langsamer werden muss. In Abb. 6.26 siehst du den Bremsweg für verschiedene Geschwindigkeiten. Du siehst, dass der Bremsweg bei 50 km/h fast 3-mal so lang ist (genau ist es 2,8-mal) wie bei 30 km/h! Hättest du das vermutet (F17)?
4-mal so groß: 40 g! Du siehst also, dass die Gefahren nicht linear anwachsen, sondern mit dem Quadrat der Geschwindigkeit.
Und du siehst auch die Bedeutung der Knautschzone. Ist diese doppelt so groß, dann sinkt die Bremsverzögerung auf die Hälfte ab. Deshalb sind Sportgeräte und Helme gepolstert F18). Durch den größeren „Bremsweg„ treten kleinere Kräfte auf und man verletzt sich nicht so leicht.
Es kann natürlich vorkommen, dass du trotz Vollbremsung nicht mehr rechtzeitig stehen bleiben kannst und gegen ein Hindernis prallst. In diesem Fall treten noch viel größere Bremsverzögerungen auf. Schätzen wir einmal ab. Wir nehmen dabei an, dass die negative Beschleunigung während des Aufpralls konstant bleibt.
Nimm an, du prallst mit 36 km/h (10 m/s) gegen eine Wand, und die Front deines Autos schiebt sich dabei um 0,5 m zusammen (das ist die Knautschzone). Wie groß ist in diesem Fall die Bremsverzögerung?
$a = v^2/2s$, das ergibt also $100 m/s^2$ oder 10 g. Das ist für diese geringe Geschwindigkeit ein ziemlich gewaltiger Rumms! Wenn du doppelt so schnell aufprallst, also mit $72 km/h$ ($20 m/s$), dann ist die Bremsverzögerung bereits 4-mal so groß: 40 g! Du siehst also, dass die Gefahren nicht linear anwachsen, sondern mit dem Quadrat der Geschwindigkeit.
Und du siehst auch die Bedeutung der Knautschzone. Ist diese doppelt so groß, dann sinkt die Bremsverzögerung auf die Hälfte ab. Deshalb sind Sportgeräte und Helme gepolstert F18). Durch den größeren „Bremsweg“ treten kleinere Kräfte auf und man verletzt sich nicht so leicht.
| Zwei Formen der Beschleunigung. |
Man kann den Effekt aber auch umgekehrt nutzen. Wenn ein Specht mit dem Schnabel auf die Rinde hackt, dann dringt dieser nur wenige Millimeter tief ein. Durch das abrupte Abbremsen entstehen enorme Kräfte, die er mit Muskelkraft alleine nicht erzeugen könnte. Und auch Möwen helfen sich physikalisch: Wenn sie eine Muschel nicht aufhacken können, dann lassen sie diese einfach aus großer Höhe auf den harten Boden prallen. Der harte Aufprall erzeugt große Bremskräfte und knacks!
Zusammenfassung