Untertitel: Der Schein trügt
Die Geschichte von Zentripetal- und Zentrifugalkraft ist eine mit vielen Missverständnissen. Wir fangen zunächst einmal an, alles aus der Sicht eines ruhenden Beobachters zu betrachten, der sich nicht mitdreht. Zur Erinnerung: Wenn ein Gegenstand seine Geschwindigkeit ändert (wenn er beschleunigt wird), dann wirkt eine Kraft auf ihn. Oder anders formuliert: `F = m\cdot a`. Das ist die Bewegungsgleichung.
Wenn sich zum Beispiel ein Auto auf einer Kreisbahn bewegt, dann dreht sich der Geschwindigkeitsvektor (folgende Abb.). Das Auto wird beschleunigt, und dazu ist eine Kraft notwendig. Diese Kraft zeigt immer zum Mittelpunkt der Kreisbahn. Man nennt sie Zentripetalkraft. Übersetzt bedeutet das „zum Zentrum strebende Kraft„. Um die Kreisbahn des Autos aus der Sicht eines ruhenden Beobachters erklären zu können, ist also eine Kraft notwendig, die nach innen zeigt!
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Die Zentripetalkraft ist keine spezielle Kraft wie etwa die Gravitation. Der Name gibt nur an, in welche Richtung sie wirkt. Es kann sich dabei um eine Reibungskraft handeln wie beim Auto, eine Gravitationskraft wie beim Raumschiff im Orbit oder die Kraft, mit der die Wand des Karussells auf dich drückt. Die Zentripetalkraft setzt sich aus den wirklich am Körper angreifenden Kräften zusammen und ist nicht eine Kraft, die zusätzlich zu diesen wirkt!
Warum „schneiden“ Rennfahrer die Kurven (F21)? Es gibt eine maximale Zentripetalkraft, die durch die Haft- reibung begrenzt ist. Wird sie überschritten, fliegt man aus der Kurve (Abb.). Durch das Schneiden wird der Radius der Kreisbahn größer, und man kann bei gleicher F schneller fahren (folgende Abb.). Wenn man den Radius verdoppelt, kann man die Geschwindigkeit um 41 % erhöhen. Rechne nach!
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Wie ist das mit dem Looping (F22)? Überlegen wir einmal qualitativ. Nimm an, dass die rechte Seite des Loopings fehlt (Abb. 11.48). Die Geschwindigkeit von Allo Diavolo muss am höchsten Punkt so groß sein, dass seine Flugparabel außerhalb des Loopings liegt (grün). Ist die Geschwindigkeit zu klein, dann liegt die Flugparabel innerhalb des Loopings (rot), und er würde den Boden über den Rädern verlieren. Er würde zwar wieder gegen den Looping prallen, aber kontrolliert wäre das nicht mehr. Die Minimalgeschwindigkeit kann man auch berechnen.
Die Frage mit dem Zylinderkarussell (F23) ist eine harte Nuss. Bedenke: Du betrachtest deinen Freund von außen. Wenn dieser nicht nach unten rutscht, dann muss die Schwerkraft durch eine Gegenkraft kompensiert sein. Diese Kraft ist die Reibungskraft. Somit heben sich die vertikalen Kräfte auf und er rutscht nicht. Für die Kreisbahn ist außerdem wieder die nach innen gerichtete Zentripetalkraft notwendig. Also ist a richtig!
Und jetzt kommen wir nun zur ominösen Zentrifugalkraft. Stell dir vor, auf einer rotierenden Scheibe ist eine Kugel an einer Feder montiert (Abb. 11.50). Der Beobachter außen (a) sagt: „Die Kugel beschreibt eine Kreisbahn. Dazu ist eine Zentripetalkraft notwendig. Sie zeigt nach innen.„ Diese Sichtweise kennst du schon. Der mitrotierende Beobachter (b) sagt aber: „Scheibe und Kugel sind in Ruhe. Alle Kräfte sind im Gleichgewicht. Die Federkraft wird von einer Kraft ausgeglichen, die von mir wegzeigt.“ Diese Kraft nennt man Zentrifugalkraft (`F_{ZF}`). Es gilt: `F_{ZP} = -F_{ZF}`.
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Stell dir nun vor, dass die Befestigung der Kugel abreißt (folgende Abb.). Der Beobachter außen (a) sagt: „Auf die Kugel wirken keine Kräfte und sie fliegt tangential weg„. Der rotierende Beobachter (b) sagt: „Die Kugel fliegt durch die Zentrifugalkraft nach außen weg.“
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Du siehst, dass die Zentrifugalkraft nur für einen rotierenden Beobachter existiert. In einem Inertialsystem gibt es diese Kraft nicht! Man nennt die Zentrifugalkraft daher auch eine Scheinkraft. Damit meint man Kräfte, die nur in bestimmten Bezugssystemen existieren. Damit meint man aber nicht, dass sie gar nicht existiert. Schließlich kannst du sie in einer Kurve tatsächlich spüren. Aber was spürst du da eigentlich? Begeben wir uns jetzt ins rotierende System!
Warum fühlt sich ein Astronaut in der Umlaufbahn schwerelos (F24)? Weil Zentripetalkraft (die Gravitation) und Zentrifugalkraft einander aufheben (folgende Abb. a). Oder anders erklärt: Im Orbit befindest du dich im freien Fall und dann verschwindet die Gravitation immer.
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In Science-Fiction-Filmen sehr beliebt ist die künstliche Gravitation. Die einzige technisch machbare Lösung ist mit Hilfe von Beschleunigung. Wenn man etwa eine ringförmige Raumstation mit der richtigen Geschwindigkeit dreht, dann kann man 1 g erzeugen und es herrschen Erdverhältnisse (vorhergehende Abb. b). Aber wie können Schwerelosigkeit und 1 g auf praktisch gleiche Weise zustande kommen? Das ist doch paradox!
Der Unterschied liegt darin, wie die Zentripetalkraft entsteht! Im Fall a greifen Zentrifugalkraft und Zentripetalkraft (Gravitation) an jedem einzelnen Atom deines Körpers an und heben dort einander auf (vorhergehende Abb. a). Das macht dich schwerelos. Im Fall b greift die Zentrifugalkraft zwar auch an jedem Atom deines Körpers an, aber die Zentripetalkraft (Normalkraft) der Raumstation drückt nur auf deine Füße. Dadurch wird dein Körper verformt und das kannst du spüren.
Du kannst Kräfte, die an allen Atomen angreifen, nicht spüren. Egal ob es nun die Gravitation ist (etwa im freien Fall), die Zentrifugalkraft (wie bei Abb. Abb. b) oder eine Kombination von beiden (folgende Abb.a). Es klingt absurd, weil du es anders empfindest, aber du spürst in einer Kurve eigentlich, dass die Zentripetalkraft nicht an derselben Stelle angreift wie die Zentrifugalkraft (vorhergehende Abb. b). Das ist schwer zu verstehen, aber es lohnt sich, ein wenig darüber nachzudenken!
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Bei frisch gemolkener Milch setzt sich nach einiger Zeit der Rahm oben ab, weil er leichter ist als die Magermilch. Beim Blut ist es ähnlich: Die leichten, flüssigen Bestandteile steigen auf und die festen sinken ab. Könntest du die Gravitation erhöhen, dann würden diese Vorgänge wesentlich schneller ablaufen. Nach diesem Prinzip funktioniert eine Zentrifuge. Durch die Rotation erzeugst du eine gewaltige Zentrifugalkraft, die praktisch wie eine künstliche Schwerkraft wirkt (wie in Abb. b). So wird zum Beispiel Blut mit 700 g zentrifugiert, um es in seine Bestandteile zu zerlegen.
Zusammenfassung